Bewegende Aufnahmen über Kindertransporte aus Prag nach England

Die Fotokünstlerin Karen Stuke zeigte in der Berliner Wandelhalle eine unter die Haut gehende Installation monumentaler Bilder mit der Camera obscura.

Installation von Karen Stuke in der Wandelhalle Berlin nach Sebalds Roman Austerlitz. ©Inge Smolek

Installation von Karen Stuke in der Wandelhalle Berlin nach Sebalds Roman Austerlitz. ©Inge Smolek

Es ist nur ein Raum, den die Fotokünstlerin für ihre Installation bespielte. Ein Schienenstrang führt in der Mitte längs durch den Raum, ein einzelner Scheinwerfer wirft seinen Lichtstrahl entlang. Am Ende ein monumentales Bild, das flüchtende Frauen und Kinder zeigt. An den Längsseiten des Raumes stößt ein auf großer Leinwand gedrucktes schummriges Foto an das andere. Kein Zwischenraum gönnt der Betrachterin, dem Betrachter eine emotionale Pause. Es sind unscharfe Bilder, der Blick sucht Halt an Details, aber nur aus der Entfernung — soweit in dem Raum überhaupt möglich — geben die Fotografien den Inhalt der Großformate frei. Wie im Traum scheinen die mit der Camera obscura festgehaltenen Ansichten. Ob nun die stattliche Bahnhofshalle in Prag oder die Wiese mit den roten Blumen, alles bleibt in der unscharfen Ansicht der Traumwelt, der unterbewussten Erinnerungsfetzen. Flüchtige Spuren, reine Atmosphäre, Lichtstreifen, welche die bewegte Lochkamera malt. 

Wer das Glück hatte, sich allein in dem Ausstellungsraum dem Eindruck der Bilder, der Licht- und Sound-Installation, hinzugeben, konnte die Emotionen nachempfinden, die in Austerlitz’ Roman beschrieben sind. 

Auf den Spuren eines Romans reiste Karen Stuke nach Prag, nach Großbritannien, nach Antwerpen, durch Deutschland. Austerlitz von W.G. Sebald erzählt die Geschichte von Jacques Austerlitz, der mit fünf Jahren mit einem Kindertransport von Prag zu Pflegeeltern in Wales geschickt wurde. Als Erwachsener macht sich der Architekturhistoriker auf, die Spuren seiner eigenen Geschichte und die seiner Eltern zu finden. Eine Reise durch die Zeit — von der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis zum Großbritannien von heute.


Info:

Das Werk mit dem ursprünglichen Titel der Installation und Ausstellung „Stuke - After Sebald’s Austerlitz“ wurde von The Wapping Project mit Mitteln des Women’s Playhous Trust in Auftrag gegeben und 2013 erstmals in Wapping, London, ausgestellt. In Zusammenarbeit mit dem PhotoWerkBerlin wurde es speziell für die Wandelhalle der Kommunalen Galerie in Berlin neu gestaltet.

Sonntag, 27. Oktober 2019, 14 Uhr: Werkstattgespräch und Finissage mit Karen Stuke und Norbert Wiesneth

http://www.karenstuke.de/?page_id=1192

Gleichzeitig zeigte eine Open-air-Ausstellung auf drei Litfaßsäulen vor dem Bahnhof Berlin Charlottenburg Bilder aus den späten 1930er Jahren. Texte und historische Bilder vermittelten die Geschichte der Kindertransporte. In Charlottenburg war eine der letzten Möglichkeiten, dass Kinder in die Transportzüge ins sichere England zusteigen konnten. Zwischen Ende November 1938 und dem 1. September 1939 wurden über 10.000 Kinder, die als jüdisch im Sinne der Nürnberger Gesetze galten, verschickt und gerettet. Kinder aus Deutschland, Österreich, Polen, der freien Stadt Danzig und der Tschechoslowakei kamen in Zügen und Schiffen ins Exil. Die meisten sahen ihre Eltern nie wieder. Oftmals waren sie die einzigen aus ihren Familien, die den Holocaust überlebten.

Die Ausstellung war eine britisch-deutsche Initiative der Universitäten Aberystwyth und Nottingham Trent, dem Fachbereich Kultur von Charlottenburg-Wilmersdorf, der Inge Deutschkron Stiftung und dem PhotoWerkBerlin. Sie steht unter der Schirmherrschaft des britischen Botschafters Sir Sebastian Wood.

Open-Air-Ausstellung zu den Kindertransporten — auf Litfaßsäulen beim Bahnhof Berlin Charlottenburg. ©Inge Smolek

Open-Air-Ausstellung zu den Kindertransporten — auf Litfaßsäulen beim Bahnhof Berlin Charlottenburg. ©Inge Smolek

©Karen Stuke